Keltis vs. Stone Age

Im Jahr 2008 war die Spielewelt noch vergleichsweise übersichtlich. Die Groß- und heute Altmeister des Brettspieldesigns machten den Sieg um den Preis zum Spiel des Jahres weitgehend unter sich aus: Wolfgang Kramer, Klaus Teuber, Alan Moon und Andreas Seyfarth. Doch einer fehlte noch: Reiner Knizia, immerhin viermaliger Gewinner des Deutschen Spiele Preises. Noch nie konnte er beim Spiel des Jahres triumphieren. Ein Versäumnis? Ein Irrtum? Oder gar eine Schmach?

Eigentlich sah es auch 2008 nicht danach aus, als könnte Knizia dieses Mal den so genannten Roten Pöppel gewinnen. Der Jahrgang war stark, sehr stark. Uwe Rosenberg, schon bekannt durch das zum Verhandeln einladende Kartenspiel Bohnanza und vielleicht auch ein wenig durch das turbulente Zweipersonenspiel Babel, begeisterte mit Agricola die Fangemeinde komplexer Spiele. Weniger anspruchsvoll, aber ein wenig ungewöhnlich, um nicht zu sagen nerdig, trumpfte Vlaada Chvátil, der später mit dem epischen Im Wandel der Zeiten (heute vermarktet unter Through the Ages), dem monströsen Mage Knight und dem ironischen Dungeon Lords Meilensteine der komplexen und mit dem flotten Codenames einen solchen der Familen- und Partyspiele setzen sollte, mit Galaxy Trucker erstmals groß auf.

Als einsteigerfreundliches Familienspiel taugte irgendwie beides nicht so recht. Ohne schon einen Kennerspielpreis eingeführt zu haben, orientierte sich die Spiel-des-Jahres-Jury dennoch bereits deutlich in diese Richtung. Andernfalls hätten in den Jahren zuvor schon andere Spiel gewinnen können oder gar müssen, wie etwa Puerto Rico von Seyfarth oder Euphrat & Tigris von Knizia. Letzterer hatte mit Keltis nun ein sehr zugängliches Spiel vorgelegt. Würde er damit nun endlich den Preis gewinnen?

Da gab es noch ein kleines Problem: Keltis ist kein herausragendes Spiel, da war und ist sich die Spielerschaft weitgehend einig. Ein anderes Spiel fand mehr Anklang: Stone Age, das Bernd Brunnhofer damals noch unter seinem Pseudonym Michael Tummelhofer veröffentlichte. Dieses Spiel, so sind nicht wenige der Meinung, hätte den Preis verdient gehabt und nicht Keltis, das dann tatsächlich gewonnen hat. Es kam der Verdacht auf, dass nicht das beste Spiel geehrt wurde, sondern die Jury Knizia nicht wieder leer ausgehen lassen wollte. Ist 2008 also das schlechtere der beiden Werke zum Spiel des Jahres gekürt worden?

Keltis, so ließe sich etwas böswillig formulieren, ist ein Wettbewerb im Kartensortieren. Wir legen verschiedene Farben in ihren Werten auf- oder absteigend aus und klettern dann in der jeweiligen Skala auf dem Brett. Um nicht zu viel Eintönigkeit aufkommen zu lassen, werden die fünf Skalen mit zufälligen Sondereffekten garniert. So weit, so simpel; und genau darin liegt die Stärke.

Allerdings ist die Idee nicht ganz neu: Neun Jahre zuvor hatte Knizia mit Lost Cities ein Zweipersonenspiel vorgelegt, bei dem man nur aufsteigend legen durfte. Statt Skalen empor zu klettern konnte man vor Beginn einer Kartenreihe darauf wetten, um so die mögliche Punkte zu vervielfachen, im positiven oder wenn es schlecht lief im negativen. Die Spiele sind sich also sehr ähnlich, wenn auch nicht gleichermaßen hart, und nicht wenige sahen in Lost Cities die bessere Variante.

Keltis ist einfach, zugänglich und redaktionell gut bearbeitet, doch es ist weder innovativ noch faszinierend. Dass es in einem starken Jahrgang zum Spiel des Jahres reichte, dürfte trotzdem nicht am Namen Knizia gelegen haben. Denn alle anderen Spiele hatten Eigenschaften, die sie aus dem Rennen warfen: Agricola gilt gemeinhin als überragendes Spiel des Jahrgangs und gewann wenig überraschend den Deutschen Spiele Preis, jedoch bedarf die frühneuzeitliche Bauernsimulation der intensiven Einarbeitung. Thematisch überzeugend, spielerisch fordernd und strategisch enorm variabel setzte Agricola Maßstäbe, ist für Familien aber eher nicht zu bewältigen. Die Jury kam nicht umhin nach 2006 (damals für Caylus) ein zweites Mal einen Sonderpreis Komplexes Spiel zu vergeben. 2011 dann den Preis fürs Kennerspiel des Jahres regulär einzuführen, war dann nur noch folgerichtig, denn die Zahl sehr guter Spiele jenseits des Familienniveaus nahm weiter zu.

Galaxy Trucker ist zwar familienfreundlicher, kommt aber immer noch mit einem vergleichsweise umfangreichen Regelwerk daher. Außerdem spricht es hinsichtlich Thema und Spielablauf ein spezielles Publikum an. Ohne Liebe zum schrägen Weltraumabenteuer und einer guten Portion Frustrationstoleranz geht es nicht: Raumschiffe werden gleichzeitig im Rennen gegen die Sanduhr zusammengetüftelt um dann bei zahlreichen Herausforderungen im Weltraum arg in Mitleidenschaft gezogen zu werden, manchmal bis hin zur völligen Zerstörung.

Bleibt noch Stone Age: Ein massentaugliches Thema auf gehobenem Familienniveau, nur leider zieht sich der repetitive Ablauf dann ziemlich unnötig über zwei Stunden hinweg. Letztlich gewinnt, wem es gelingt, die Multiplikator-Effekte am stärksten auszunutzen. Keine Ahnung, wie weit fortgeschritten die Steinzeit-Menschen in der Mathematik waren, Kinder heute sind es grundsätzlich, dennoch ist die volle Tragweite für sie in diesem Spiel schwer zu greifen. Jedenfalls sammelt man fortwährend schlicht Ressourcen ein, um sich die nächste Karte, das nächste Plättchen oder den nächsten Fortschritt zu holen, der auf die eigenen Vervielfacher einzahlt. Das Spiel gerät dadurch schematisch. Es mag für Manche interessant sein, das Maximum rauszuholen, spielerisch aber wirkt es ein wenig trocken. Dass die eingesetzten Steinzeit-Arbeiter ihren Ressourcenertrag erwürfeln bringt zwar Unwägbarkeit ins Spiel, doch nach zahlreichen Wiederholungen kommt nicht mal mehr richtige Schadenfreude auf.

Was bei aller Kritik kaum aufgefallen zu sein scheint: Keltis und Stone Age weisen überraschend viele Ähnlichkeiten auf. Beide sind in ihren einzelnen Zügen glückslastig: Auf der einen Seite braucht es Würfel-, auf der anderen Kartenglück. Genau diese Glückskomponenten unterliegen häufiger Wiederholung: In jedem Spielzug wird entweder mehrfach gewürfelt oder es wird eine Karte nachgezogen. In beiden Fällen geht es dann darum, die Wahrscheinlichkeit brauchbarer Ergebnisse möglichst hoch zu halten und damit bestimmte Wege einzuschlagen, die man dann für den Rest des Spiels kaum mehr verlassen kann. Manchmal braucht es noch taktischer Züge zum rechten Zeitpunkt um anderen nicht unnötig viele Punkte zu überlassen. Und am Ende gewinnt dann, wessen Farben bzw. Multiplikatoren zur rechten Zeit kamen. Keltis bringt dieses Spielerlebnis der glücksabhängigen Pfadwahl lediglich in kürzerer Zeit auf den Punkt.

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